Allererste quantenschäumende Weblesesahne #143
KI-Kunst hat keine Absicht / Warum fliegende Autos Quatsch sind / Justizskandal in UK / Blinkist für Sex / Superhelden-Kurzgeschichte von Simon Rich / was ich so las in the meantime
Vielfach lässt sich lesen, was KI/AI so malt sei unglaublich. Gesagt wird das im Internet, wo immer alles gehyped oder getrashed wird. Ich finde, das habe ich ja bereits zum Ausdruck gebracht, was KI/AI malt, sind einfach nur 2D-Pixel-Ansichten eines Bildes. Die KI/AI muss nur Pixel und Farben anordnen und bedient sich dabei aller möglichen Vorlagen, die sie ohne Lizenzen zu beachten aus dem Internet oder sogar auf Bildbibliotheken sammelt. Nur, für ein Bild an der Wand einer Galerie braucht es mehr: es braucht auch noch den Pinselauftrag, die Farbauswahl, den Schichtenaufbau und ähnliches. Beides ist überhaupt nicht vergleichbar.
Und wie Lincoln Michel in Art without Intention zeigt, fehlt noch etwas ganz Entscheidendes: eine Absicht. Kunst ist nicht einfach Kunst, weil sie einigen gefällt. Kunst ist keine zufällige Mischung von Formen und Farben. Kunst hat eine Absicht, wenn wir diese vielleicht auch nicht immer vollständig verstehen oder sogar häufig missdeuten. KI/AI kann also gar keine Kunst schaffen, denn das Ding ist tot und hat keine Absichten.
Das führt mich auch zu einem Gedanken, den ich seit langer Zeit über Kunst mit mir rumtrage: Kunst öffnet uns die Augen für Dinge, die wir vorher nicht sahen (deswegen ist es besser, wenn mehr Leute Kunst als wenn es weniger tun). Das könnte ohne Absicht nur zufällig passieren, mit Absicht ist es genau das, was die Absicht eben vor hat.
Viel Spaß beim Lesen wünscht euch eure Internetkanone Gregor Gregarious Gross!
Warum fliegende Autos Quatsch sind
… und gleichzeitig ein Qualitätsbeweis für die Leserzuschriften des New Yorker. In einem Artikel neulich wurden Startups präsentiert, die an fliegenden Autos basteln. in Deutschland halten wir das für einen möglichen Beitrag zur Verkehrswende!
Anfangs sind solche Artikel im New Yorker immer pro zu dem, worüber sie berichten, und gegen Ende kommen dann die Kontra-Punkte zur Sprache. Anfangs also: wow, coole Technik! Kein Stau mehr! Bla bla. Und dann am Ende kritisch, allerdings nicht so kritisch wie eine Leserzuschrift von James Gifford eine Woche später:
Flying cars have faced five technological hurdles since the earliest days of the concept:
they cannot be effectively controlled by anyone but a skilled pilot
they are too noisy (heard any silent helicopters lately?)
they can’t carry enough fuel for any but the briefest journeys
they require too much energy use per passenger, per mile
and they don’t offer a reasonable level of safety for pilots, passengers, or those on the ground.
Also bräuchte man immer Piloten statt selber zu fliegen oder KI ran zu lassen. Die Dinger machen Krach und verbrauchen sehr viel Energie (rollen ist deutlich leichter als abheben, echt jetze?) und wenn sie abstürzen, sterben alle möglichen Leute inkl. z.B. Radfahrer und Fußgänger, aber auch andere Zivilisten, die unterhalb des Luftraums leben, in dem die Reichen mit ihren Spielzeugen rumfliegen. Also eigentlich, von den Effekten auf alle anderen, wie Autos auf Doping.
A British Nurse Was Found Guilty of Killing Seven Babies. Did She Do It?
In einer Intensivstation für Kleinkinder sterben innerhalb eines Jahres mehrere Kinder. Eine Krankenschwester ist immer anwesend, wenn das passiert. Öffentlichkeit und Politik verurteilen sie vor, als sie angeklagt und später zu lebenslang verurteilt wird. Rachel Aviv vom New Yorker schaut sich nur die Protokolle des Gerichts und der Klinik an, die ein Whistleblower übersandt hatte, und schreibt diesen Artikel, der an der Schuld von Lucy Letby totale Zweifel auslöst.
In britischen Krankenhäusern generell und auf Kinderintensivstationen steigen die Anzahl der Todesfälle, wegen Covid, aber insbesondere wegen des Sparzwangs des NHS. So wie überall auch in dem Hospital, wo Lucy Letby arbeitete. Personalnotstand, fehlende Ausbildung, fehlende Medikamente und Technik usw. Als sich Tode häufen, ist Lucy Letby als einzige immer anwesend. Zwei Ärzte starten ihre Kampagne, weil sie deswegen Letby für schuldig halten. Die Polizei übernimmt und versucht nur, zu verifizieren statt zu falsifizieren (also wie Dr. Watson statt wie Sherlock Holmes).
War Letby vielleicht immer anwesend, weil sie viele Überstunden machte und die best qualifizierte Krankenschwester war, die immer gerufen wurde?
Auf der benachbarten Geburtsstation stiegen im selben Zeitraum die Todesfälle auch, nur war Lucy Letby dort nie anwesend. Aber das im selben Krankenhaus auf mehreren Stationen die Todesfälle ansteigen, ist in einem Fall kriminell, im anderen nicht?
Bevor man sich die Fälle und Anwesenheiten anschaute, waren das Todesfälle, noch keine Morde. Als man dann sah, dass eine Krankenschwester immer dabei war, war sie a) die Mörderin und b) die Todesfälle waren auf einmal alle Morde. Ein Diagramm schafft zwei neue Situationen!
Wie schwer war es, nicht auf Schichten vermerkt zu sein und trotzdem an die Kinder zu kommen?
Die Todesfälle sind bis heute nicht als Morde nachvollziehbar. Der vor Gericht aussagende “Experte” wurde von anderen Medizinern hinterfragt und hat selber keine gute Vorgeschichte. Eine von ihm mehrfach behauptete Todesursache mit Mordhintergrund ist nirgendswo beschrieben oder sonst jemanden außer ihm bekannt.
Lohnt sich echt, das zu lesen. True Crime Justice Scandal macht immer Spaß, außer man heisst Lucy Letby, sorgt sich um die ihr Anvertrauten, kriegt guten Leumund auch von Eltern von verstorbenen Kindern, macht Überstunden, weil Not an Mann und Frau und Kind ist in einer zu Tode gesparten Welt des britischen NHS, und weil man drum gebeten wurde, versucht zu retten, was zu retten geht und wird dann als Mörderin für das Versagen aller anderen und insbesondere des Systems verantwortlich gemacht.
Übrigens: zwei ähnliche Fälle in Italien und Niederlande wurden nach Verurteilung wieder aufgewickelt, abgewiesen und gelten in Niederlande z.B. als einer der größten Justizskandale des Landes. Und was macht das UK? Verhängt Nachrichtensperre darüber, weswegen der Artikel in USA erscheinen muss.
Can You Read a Book in a Quarter of an Hour?
Anthony Lane schaut sich das Berliner Startup Blinkist und dessen App an, die Zusammenfassungen von Büchern anbietet. Logischerweise nimmt Lane die App auseinander, dazu komme ich gleich, aber erwähnt auch, dass es bestimmte Bücher gibt, die leicht zusammenfassbar sind und ohnehin so dünn in ihrer Substanz, daß dabei auch nix verloren geht. Nennen wir sie Selbsthilfe-Bücher und das sind auch die, deren Zusammenfassungen die Zielgruppe von Blinkist sich am liebsten reinpfeift.
Warum nimmt Lane die App trotzdem auseinander? Er nennt viele Gründe, aber ich fass das mal zusammen: zwischen der Erinnerungs- und Assoziationstiefe von Dingen, die wir uns merken wollen, und der mit ihnen verbrachten Zeit besteht ein Zusammenhang. Natürlich gibt es neben Lesen noch andere Wege, unsere Erinnerung zu steigern, aber sie alle verlangen Zeit, Wiederholung, neuerliche Anwendung.
Bücher wie von Marcel Proust, Uwe Johnson oder Ludwig Wittgenstein lassen sich gar nicht zusammenfassen in einer Weise, die das Lesen ersetzen kann (ausser ich bin ein durchschnittlich fauler Abiturient, der partout an andere Sachen denkt den ganzen Unterricht und seine Freizeit lang und ich will echt nur mit Beschiß durch diese dämliche Prüfung). Und bei allen anderen Büchern, selbst wenn ich die Zusammenfassung gelesen habe: ich werde mich da höchstens ein paar Wochen dran erinnern können. Was mich nicht beschäftigt und beeindruckt, also zeitlich keine Kerbe hinterlässt, vergesse ich wieder.
Darüber hinaus zwei Ideen zur Abwandlung dieser tollen Geschäftsidee (die unsere Faulheit vertiefen will, indem sie sie uns als Effizienz darstellt), die hoffentlich demonstrieren helfen, daß manche Erfahrungen einfach selber zu machen sind:
Blinkist für Filme: während andere Alien-Remulus kieken und sich in ihr Höschen machen, schaffst Du es, die Zusammenfassung aller Filme des Jahres 2024 zu lesen.
Blinkist für Sex mit deinem Partner: lass jemand anderen übernehmen, lies die Zusammenfassung und fühle Dich, als ob Du mit dabei warst!
We’re not so different, you and I (Kurzgeschichte im New Yorker von Simon Rich)
Wow. Ein Superschurke will sein Leben in den Griff kriegen, weil er einsam ist (bis auf die Ehe mit seiner verständnisvollen Frau). Also versucht er, Freunde zu finden und geht dabei, wie es für Superhelden und Superschurken eben so ist, recht radikal zu Werke.
Sehr lustig und sehr kurzweilig, diese Kurzgeschichte. Ab, rüber, lesen und englisch üben!
Was ich so las in the mean time:
Habe 35 von 50 geplanten Büchern in 2024 hinter mir:
Elizabeth Moon - Trading in danger: Beginn einer SciFi-Serie um Ky Vatta, junge Kapitänin eines Deep Space-Handelsschiffes, grade von der Akademie geflogen, Tochter eines Handelsimperiums. Sehr unterhaltsam und abwechslungsreich, aber es kümmert sich gar nicht um die Technik, sondern setzt diese einfach voraus. In gewisser Weise ist es vergleichbar mit der Aubrey/Maturin-Serie von Patrick O’Brien: hier wie dort müssen Kapitäne ihr Schiff kennen, navigieren können, sich durch den schärfsten Müll durchlavieren, ständig auf der Hut und immer ein Fuchs sein. Nur, dass bei den Segelschiffen auch wichtig ist, das Schiff in Trimm zu halten und zu segeln, ausserdem zu navigieren, während das bei SciFi-Stories die KI macht.
Hubert Rottleuthner - wir müssen alles in der Hand haben: Neulich ein Buch über den Umgang des bundesdeutschen Justizministeriums mit Leuten mit NS-Vergangenheit gelesen, nun dieses hier über den Umgang der ostdeutschen Justiz mit ebenjenen Leuten. Im Westen beschäftigte man die Nazis weiter, schaffte aber durch Helden wie Fritz Bauer trotzdem irgendwie eine demokratische Justiz. Im Osten fand man Gewaltenteilung sei bürgerliche Heuchelei, schuf dann ein gewaltengeeintes Justizsystem, das einer einzigen Partei gehorchte. Quasi also ein Abbild der Justiz bei den Nazis, nur schmiß man vorher wirklich alle Nazis raus.
Andrzej Sapkowski - Der Schwalbenturm: Wie immer sehr gut. Insbesondere die Dialoge lesen sich immer spitze: schlau, schlagfertig, bissig. Ich habe noch keine Ahnung, die das zu Ende gehen soll. Es ist ja nur noch ein Band übrig für mich. Ich vermute, Ciri kann verschiedene Zeiten besuchen und findet quasi ein Paralleluniversum, in dem alle ihre Freunde leben, aber es leider keine Magie gibt. Aber, was weiß ich.
KKL ➜ Kaum kommentierte Links:
The Big Baltic Bomb Cleanup: Spätfolge unserer einstigen Allmachtallüren. Wegen des Kriegs ist die Ost- und Nordsee voller Torpedos, Wasserbomben und ganz vielen Bomben, die Bomber aufm Rückweg abschmissen, damit sie später landen können. Wer denkt, ist doch nicht viel, schaue sich mal unten im Artikel ein Bild an.